Reifenabrieb: Alltägliches Gift entlang jeder Straße

Reifenabrieb ist der größte Emittent von Mikroplastik in der Umwelt. Laut Fraunhofer-Umsicht gilt der Straßenverkehr als Verursacher von 53,7% des gesamten Mikroplastiks. Dabei sind 42,6% auf Reifenabrieb, 7,9% auf Asphalt-/Bitumenabrieb und 3,2% auf Abrieb von Fahrbahnmarkierungen zurückzuführen (In der Fachliteratur fasst man diese Partikel zusammen zu Tyre and Road Wear Particles, kurz „TRWP“). Alleine entlang des europäischen Straßennetzes fallen Jahr für Jahr etwa 1,3 Millionen Tonnen Reifenabrieb in der Umwelt an. Straßenverkehr ist somit unbestritten der mit Abstand größte Verursacher von Mikroplastik in der Umwelt, einschließlich der Meere.

Dieser Schadstoffeintrag führt zu einer schwerwiegenden Kontaminierung der Umwelt und, wie sich immer deutlicher herauskristallisiert, zu einer unabsehbar hohen Gesundheits- und Lebensgefährdung für den Menschen genauso wie für unzählige andere Lebewesen.

Bis heute gibt es keine technischen Möglichkeiten, derartige von Straßen ausgehenden Emissionen über die Luft, die Böden und das Wasser wirksam zu verhindern.

Gefährdungs- und Schadpotential von TRWP

Reifen bestehen aus hochkomplexen Mischungen hunderter unterschiedlicher Komponenten, die teils bereits für sich gesehen für den Menschen als toxisch, endokrin disruptiv bzw. in sonstiger Weise umweltschädlich deklariert sind und deren chemisches Verhalten untereinander und in der Umwelt im Vergleich zu sonstigen Mikroplastik-Quellen nochmals weitaus unklarer und gefährlicher einzustufen ist.

Die orale und respiratorische Aufnahme von Mikro- und Nanoplastik verursacht laut Deng auch für Menschen weitreichende Gesundheitsrisiken. Der Studie zufolge wurden an untersuchten Säugetieren signifikante gesundheitliche Schäden festgestellt. Inzwischen konnten bei Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen Mikro- und Nanoplastik in allen untersuchten Organen nachgewiesen werden.

Nachweis von Mikro- und Nanoplastik in 47 von 47 untersuchten menschlichen Gewebeproben. Video ansehen auf Youtube

Risiken durch TRWP induzierte Zellenmutationen betreffen beim Menschen und bei im Laborversuch untersuchten Säugetieren die Lunge, die Leber, die Nieren und den Darm, insbesondere aber auch das Gehirn durch Überwindung der Blut-Gehirn-Barriere.

Es muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche im Straßenumfeld lebende höhere Tierarten, die einer massiven TRWP-Belastung unterworfen sind, den mit den Labortieren vergleichbaren Schädigungen unterliegen und möglicherweise sogar daran sterben. Eine entsprechende Vorstudie an Feldhasen bestätigt dies bzw. übertrifft diese Befürchtungen im Schadensausmaß sogar (näheres weiter unten).

Das aktuelle Studienziel von dem Projekt NanoGlia ist, beim Menschen neurotoxische Auswirkungen und neuronale Fehlentwicklungen künftig diagnostizieren zu können. Diese neurodegenerativen Erkrankungen und Epilepsie werden durch die von Nanoplastik ausgelösten Funktionsstörungen der wichtigen Mikroglia-Zellen verursacht.

Selbst unter ausschließlicher Betrachtung jener Schadstoffe, die von der Straße direkt über die Luft in den menschlichen Organismus gelangen, hat sich ein als industriefreundlich geltendes Forschungsunternehmen in einer Publikation von 2019 der eigenen Unsicherheit und der eigenen formal-rechtlichen Distanzierung von ihrer Einschätzung, TRWP sei unter gewissen Voraussetzungen und mit verbleibenden Unsicherheiten behaftet mutmaßlich mit einer geringen Gefahr für die menschliche Gesundheit verbunden, weitaus ausführlicher gewidmet, als der stark relativierenden industriefreundlichen Schlussfolgerung selbst.

Eine weitere Publikation von 2020 kritisiert mehrere Aspekte ebendieser Studie, indem sie darauf hinweist, dass dabei der Aufnahme der giftigen Substanzen über die Nahrungskette keinerlei Beachtung geschenkt wurde und dass die meisten zugrunde gelegten Untersuchungen realitätsfern unter Ausblendung von physikalisch-chemischen Abbau- und Umwandlungsprozessen der realen Welt vorgenommen wurden. Die entsprechende Schlussfolgerung lautet richtigerweise, dass eine umfassende Erforschung unverzichtbar ist, um die tatsächliche Schadwirkung von TRWP realistisch abgrenzen zu können.

Explizit hingewiesen wird bei der Risikobewertung in dieser Publikation darauf, dass

  • das tatsächliche Ausmaß der Ökotoxizität ungeklärt ist, weil fast alle vorliegenden Studien unter Laborbedingungen durchgeführt wurden, die die Realsituation des straßenbedingten Schadstoffaustrages in die Umwelt nicht angemessen abbilden;
  • es keine validen Daten bezüglich der Ökotoxizität von auf den Böden ausgetragenen TRWP gibt;
  • die gesundheitlichen Risiken durch den Eintrag in den menschlichen Nahrungskreislauf völlig unklar sind.

TRWP tödlich für Fische

Nach den beiden vorgenannten Publikationen erschien eine weitere richtungsweisende Studie. Nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit wurde erstmals eine Kettenreaktion zweifelsfrei direkt auf den Reifenabrieb zurückgeführt, die unmittelbar an der Straße ein hochwirksames chemisches Gift in der Umwelt freisetzt, das bereits in geringster Konzentration eine tödliche Wirkung auf bestimmte Wirbeltiere entfaltet.

Toxizität von Reifenabrieb eindeutig nachgewiesen: 6PPD-Chinon verursacht massenhaftes Fischsterben. Video ansehen auf Youtube

Chemische Reaktion mit verheerenden Folgen

Ozon entsteht unter anderem durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen, was zu erhöhten Ozonwerten in der Nähe von stark befahrenen Straßen führt. Mit der Oxidation von 6PPD zu 6PPD-Chinon wird das Ozon neutralisiert und damit der Reifengummi vor Versprödung geschützt. Jedoch gelangt 6PPD-Chinon durch den Reifenabrieb bei Regen in Gewässer und wirkt dort als Umweltgift tödlich. Dieser Umstand wurde für einen Vertreter der Familie der Salmoidae in der oben erwähnten Studie zweifelsfrei nachgewiesen.

Insbesondere dürften laut der vorliegenden Forschungsergebnisse auch heimische Fischarten von der toxischen Wirkung betroffen sein – der streng geschützte, vom Aussterben bedrohte Huchen gehört nämlich genauso zur Familie der Salmoidae wie die Forellen. Es ist nun nach gegenwärtigem Stand der Forschung auch zu prüfen, wie sich dieses Toxin auf andere aquatische Organismen auswirkt.

Außerdem wird 6PPD zu Phenylendiamin und Benzotriazol abgebaut. Letzteres blockiert bei Wirbeltieren, also insbesondere auch beim Menschen, die Rezeptoren für das Sexualhormon Östrogen. Gelangt es in Gewässer, kann dies bei den betroffenen Individuen bis hin zur Unfruchtbarkeit führen.

6PPD ist ein Stoff mit laut Datenblatt auch für den Menschen oral akuter Toxizität. Inwiefern die Reaktions- und Abbaustoffe unter gewissen Umständen wie bei Fischen auch in geringster Konzentration eine darüber hinausgehende schädliche Wirkung auf andere Wirbeltiere – einschließlich des Menschen hat, ist derzeit noch unklar.

Die unmittelbar an der Straße nachgewiesene tödliche Kettenreaktion, die ausgehend von Reifenabrieb in wissenschaftlich eindeutig nachvollziehbarer Weise bei Wirbeltieren ein Massensterben auslöst, ist nun bloß ein „wissenschaftlicher Glücksfall“, ein Musterbeispiel für beliebig viele weitere physikalisch-chemische Prozesse, die nach Freisetzung von unzähligen chemischen Stoffen, aus denen Autoreifen bestehen in unserer Umwelt teils innerhalb von Minuten, teils über Jahre, teils über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg völlig unkontrolliert und unkontrollierbar ablaufen.

Schädlichkeit von TRWP für Säugetiere:
Auch Feldhasen sterben

Früher oder später werden sämtliche dieser von der Straße über die Zeit tonnenweise in die Umwelt ausgetragenen Schadstoffe nach unvorhersehbaren Abbau- und Reaktionsprozessen mit der Umwelt von Lebewesen – insbesondere auch vom Menschen – wieder verstoffwechselt.

Wie real und fortgeschritten die tatsächliche Schadwirkung und von TRWP ausgehende Gesundheitsgefahr in unserer Umwelt inzwischen auch abseits der Gewässer ist, zeigt das Schicksal hierzulande noch wild lebender Säugetiere, nämlich der Feldhasen (Lepus europaeus). Diese ernähren sich im Wesentlichen von jenen fruchtbaren Feldern und Wiesen, die auch ein essenzieller Bestandteil der Nahrungskette für die Bevölkerung sind.

Eine kürzlich veröffentlichte Vorstudie von Umweltbundesamt, Medizinischer Universität Innsbruck und Veterinärmedizinischer Universität Wien belegt eine inzwischen schwerwiegende Schädigung der Feldhasenpopulationen in Österreich und Deutschland. Für die Studie wurden insbesondere auch zwei Exemplare aus Niederösterreich untersucht. Mikroplastik wurde in allen Hasen gefunden, insbesondere auch in Lymphknoten.

Spätestens der festgestellte Befund über das inzwischen vorherrschende tödlich wirksame Schädigungsausmaß an den Feldhasenpopulationen ist ein untrügliches Alarmsignal, der überbordenden Verschmutzung spätestens jetzt Einhalt zu gebieten: Ein überwiegender Teil aller Feldhasen leidet inzwischen unter derartig schweren Erkrankungen des Verdauungssystems, dass sie laut Umweltbundesamt entweder bereits kurz nach der Geburt oder deutlich vor ihrer natürlichen Lebenserwartung daran zugrunde gehen. Mutmaßliche Ursache für das massenhafte Sterben der Tiere ist die überbordende Umweltbelastung mit Mikroplastik und Chemikalien.

Entlang von stark befahrenen Straßen lebende Landwirbeltiere einschließlich des Menschen werden demnach gravierend von den Umweltgiften aus Mikroplastik und sonstigen Quellen geschädigt.

Neue Straßen induzieren noch mehr Straßenverkehr. Sie sind künstlich angelegte neue Quellen von Mikroplastik und weiteren teils hochgiftigen Stoffen durch vormals unberührte Landschaften, von deren fruchtbaren und heute noch gesunden Böden die regionale Bevölkerung ernährt wird, über Grundwasservorkommen, aus dem Menschen ihr Trinkwasser beziehen.

Wie das Österreichische Umweltbundesamt zusammenfasst, kann Mikroplastik im Körper

Wie hiezu nun nachgewiesen wurde, kann in Umwandlungsprozessen aus Mikroplastik jederzeit ein für Lebewesen tödliches Gift entstehen. Für Fische ist ein solcher Prozess ausgehend von Reifengummi lückenlos nachgewiesen, auch beim dramatischen Rückgang der österreichischen Feldhasenpopulationen spielt Mikroplastik eine ganz entscheidende Rolle, die schwer wiegende Schädigung verschiedener Organe von Säugetieren, einschließlich des Gehirns, konnte inzwischen nachgewiesen werden.

Gefahr für die menschliche Gesundheit

Mikroplastik ist im menschlichen Verdauungstrakt inzwischen allgegenwärtig. Je größer der Mikroplastikeintrag in der Region, desto größer ist auch die Mikroplastik-Konzentration im Körper der regionalen Bevölkerung und desto größer und gesundheitsgefährdender ist auch die Schadwirkung von TRWP auf den menschlichen Körper.

Die Errichtung neuer Straßen auf bisher weitgehend unversehrten Flächen geht mit einer großflächigen Kontaminierung bisher frischer Luft, sauberer Böden und Wasserkörper einher, über die die Menschen toxische Stoffe in weitaus größerer Menge als zuvor aufnehmen.

Gewissheit über das tatsächliche Schadpotential, das TRWP kurz-, mittel und langfristig in der Umwelt in allen Lebewesen, insbesondere auch beim Menschen entfaltet, ergibt sich u.a. durch einen Blick ans andere Ende des Lebenszyklusses von Autoreifen: Selbst wenn Produktion und Arbeitsplätze längst abgewandert sind, zeitigen die eingesetzten Stoffe und die vielfältigen Verarbeitungsschritte bei ihrer Produktion eine insgesamt verheerende Schadwirkung auf Mensch und Umwelt. In der Luft, in den Böden und im Wasser spielen sich die für einen früheren Produktionsstandort beispielhaft beschriebenen Schadwirkungen in noch weitaus unkontrollierterer Art und Weise ab und gefährden lebendige Organismen mit weltweit zunehmendem und langfristig wirkenden Schadpotential – Dank regelmäßigem und immer höheren Schadstoff-Nachschub aus jeder einzelnen Straße.

Die dramatischen Auswirkungen von Mikroplastik auf Lebewesen wie Fische und Feldhasen sowie den Menschen sind als unzweifelhaft gegeben anzusehen. Es muss mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass TRWP sich jedenfalls – und in einem derzeit gar nicht vorhersehbaren Ausmaß – negativ auf die Gesundheit und die Lebenserwartung der Bevölkerung und anderer Lebewesen auswirkt.

>>> Petition Stopp Straßenbau

Weiterführende Informationen

Urhebervermerk Beitragsbild: National Archives at College Park, Public domain, via Wikimedia Commons